Die Familie im Film

Medien als Aushandlungsort von familialen Narrativen, Werten und Transformationen

Anna Hepting | Luise Merkert | Daria Pezzoli-Olgiati

Ein Teilprojekt des bayerischen Forschungsverbunds ForFamily

Dieses Projekt bringt eine kulturwissenschaftliche Perspektive in den sozialwissenschaftlich ausgerichteten ForFamily-Verbund ein. Die Erforschung medialer Familienbilder zielt auf die Rekonstruktion von Tendenzen in der zeitgenössischen gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Familie. Welche Familienbilder werden medial verbreitet oder kritisiert? Was gilt als Familie? Welche Werte und Normen werden mit Familie assoziiert? Welche Konflikte und Probleme charakterisiert sie?

Mediale Darstellungen von Familien bedienen sich traditioneller Motive und spiegeln gesellschaftliche Diskurse wider. Sie stellen nicht nur dar, was als Familie gilt, sondern sie assoziieren Familie mit bestimmten – allgemein akzeptierten oder auch kontroversen – Werten und Erwartungen. Somit fungieren Medien als ein gesellschaftlicher Aushandlungsort von Visionen und Vorstellungen dieser Solidargemeinschaft. Das Forschungsprojekt baut auf der kulturwissenschaftlichen Annahme auf, dass mediale Darstellungen in einer Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Praktiken stehen. Auf der einen Seite spiegeln mediale Bilder und Erzählungen lebensweltliche Familienkonstellationen. Auf der anderen Seite prägen sie die Art und Weise, wie familiales Leben wahrgenommen und gestaltet wird. Dadurch bieten Medien einen heterotopischen Reflexionsraum, in dem Erwartungen von Familie geprägt, Ideale normiert oder kritische familiale Tendenzen ausgehandelt werden.

Dabei fällt auf, dass religiöse Symbole, Narrative und Konstellationen sowie Praktiken und Rituale eine auffällig prominente Rolle in den filmischen Aushandlungen der Familie spielen. Die Verweise auf religiöse Traditionen und Gemeinschaften werden im filmischen Schaffen wirkungsvoll aufgenommen, adaptiert und verfremdet. Religiöse Traditionen liefern ein breites Repertoire an bekannten und häufig kontroversen Narrativen und Idealvorstellungen von Familie, die mit familialen Rollen, Generationenbeziehungen und Genderbestimmungen eng verflochten sind. Kulturhistorisch betrachtet haben religiöse Rituale die Gründung und Entwicklung der Familie über Jahrtausende ermöglicht, gerahmt und reguliert. Filme nehmen diese verbreiteten Verweise auf und nutzen sie, um aktuelle Fragen zur Familie zu inszenieren. Sie modellieren Familienbilder in einer komplexen Auseinandersetzung mit der Medien- und Religionsgeschichte, häufig, indem sie die fragile Grenze zwischen der Bekräftigung konservativer Werte und dem Entwurf innovativer, als provokativ oder gar blasphemisch wahrgenommener Bilder ausloten. Das Projekt stellt diese Wechselwirkung von Film und Religion ins Zentrum der Aufmerksamkeit und untersucht zeitgenössische Darstellungen von familialen Konstellationen und damit verbundenen normativen Aushandlungen.

1480, Bibliothèque Royale, Bruxelles, MS IV 315, fol. 105v

SICCITÀ (Paolo Virzì, Italien 2022)

THE WITCH (Robert Eggers, US/CA 2015)