Forschung

Forschungsfelder und aktuelle Forschungsprojekte am Lehrstuhl Altes Testament II

Exegese, Theologie und Hermeneutik des Alten Testaments

Totes Meer mit Blick auf Moab

© F. Hartenstein

Die übergreifende Forschungsperspektive des Lehrstuhls bildet die Exegese des Alten Testaments unter besonderer Berücksichtigung seiner Theologie(n). Texte und größere literarische Kompositionen werden hinsichtlich ihrer theologischen Konzeptionen rekonstruiert und im Rahmen der Literatur- und Theologiegeschichte der Hebräisch-aramäischen Bibel kontextualisiert. Dabei richtet sich der Blick vor allem auf die sich im werdenden Kanon immer schärfer abzeichnenden text- und traditionsübergreifenden Verbindungslinien zwischen Tora, Nebiim und Ketubim (wie etwa die sog. „Gnadenformel“ Ex 34,6f und ihre Parallelstellen in Prophetie und Psalmen). Die der Gestaltwerdung des Kanons inhärente Ausbildung reflektierter „Summen“ alttestamentlicher Rede von Gott soll schärfer sichtbar und genauer beschrieben werden. Damit unlöslich verbunden ist die weiterreichende hermeneutische Frage nach dem Stellenwert alttestamentlicher Aussagen über das „Wesen JHWHs im Wandel“.

Ziel ist eine monografische Darstellung der „Theologie des Alten Testaments“ aus christlicher Perspektive (Hartenstein).

Hiermit verbinden sich Forschungsfragen zu innertheologisch interdisziplinären Problemen (Krise des Schriftprinzips, Kanonbegriff: zweiteilige christliche Bibel, text- und symbolhermeneutische Grundfragen, v.a. im Rückgriff auf Paul Ricœur), aber auch zur Ästhetik des Alten Testaments (Metapherntheorie im Anschluss etwa an Hans Blumenberg, Theorien der Bildlichkeit und der Imagination im Licht des iconic turn, mehr).

Ein Habilitationsprojekt widmete sich Fragen der Kanonizität und der frühjüdischen Schriftauslegung anhand der Propheten- und Psalmenrezeption im Buch Jesus Sirach (Brodersen 2022).

Schriftprophetie

Wasserfall in Ein Gedi

© F. Hartenstein

Detaillierte Forschungen gelten der Schriftprophetie. Das Interesse beteiligter Personen galt bisher vor allem der literarischen Genese des Jesajabuches, sowohl mit einem Fokus auf den protojesajanischen Anfängen als auch den späteren Straten des Buches. Dabei wird das Verhältnis von Unheils- und Heilsaussagen im Kontext der Kulturen erforscht, d.h. in der assyrischen Zeit des 8. und 7. Jh. v. Chr. (Hartenstein , Kreuch 2011) sowie in der babylonischen und frühpersischen Zeit des 6. und 5. Jh. v. Chr. (Ehring 2007).

Die am Lehrstuhl verfolgte Forschungshypothese geht von Unheils- und Gerichtsaussagen als dem ältesten greifbaren Stratum prophetischer Literatur aus, wobei es deren nicht in der historischen Ausgangssituation aufgehender Sinnüberschuss ist, der die Verschriftung und Buchwerdung vorantreibt (Modell des „Archivs“ des Königsgottes JHWH zur Erfassung der Eigenart schriftprophetischer Fortschreibung).

Psalmen und Psalter

Einen weiteren Forschungsschwerpunkt bilden die Psalmen und der Psalter. Hier werden textgeschichtliche, literarhistorische, formgeschichtliche und theologische Fragen der Psalmenexegese in den Blick genommen.

Langzeitprojekt ist der umfangreichste deutschsprachige Kommentar zu den Psalmen: Neubearbeitung im Rahmen des BK.AT (Hartenstein zusammen mit Bernd Janowski, Tübingen, und Judith Gärtner, Rostock)

Bisherige Arbeiten am Lehrstuhl beleuchten etwa psalterübergreifende Hintergrundvorstellungen (Audienz vor JHWHs „Angesicht“, Hartenstein 2008) oder die Bedeutung der sog. „Geschichtspsalmen“ für die Komposition des Psalters (Gärtner 2012). Eine Dissertation zur „Gnadenformel“ im Psalter anhand von Ps 103 schloss nahtlos an (Fiß 2018) und führte die Fragen nach theologischen Leitvorstellungen des Psalters weiter. Ein weiteres Dissertationsprojekt untersuchte die Bedeutung der Psalmen für die Struktur und Thematik des Hiobbuchs (Meyer zum Felde 2019).

Aktuell widmen sich zwei Dissertationsprojekte den "Schöpfungspsalmen" ( Dittmer), eines davon ist interdisziplinär angelegt zur Frage nach ihrer Verwendung in religiösen Bildungskontexten ( Breit). Ein weiteres Dissertationsprojekt fragt nach psalmenspezifischen Schreibpraktiken ( Hötschl). Ein aktuelles Post-Doc-Projekt beschäftigt sich mit "Scham in den Psalmen" ( Parrott).

Religionsgeschichte Israels im altorientalischen Kontext

Grabinschrift und Hand Gottes aus Chirbet el-Qōm

© F. Hartenstein

Komplementär zur Frage nach einer „Theologie des Alten Testaments“ steht die Rekonstruktion der Religionsgeschichte Israels aus biblischen Texten und außerbiblischen Quellen. Diese übergreifende Forschungsperspektive wird bei den genannten exegetischen Schwerpunkten immer mit berücksichtigt. Dazu werden am Lehrstuhl Einzelstudien erarbeitet, die auf altorientalisches Text- und Bildmaterial für das Verständnis alttestamentlicher Texte zurückgreifen. Ein Dissertationsprojekt widmete sich der archäologischen Bestandsaufnahme und exegetisch-religionsgeschichtlichen Bewertung der „anikonischen“ Mazzeben/Steinmale (Litzenburger 2023).

Stets stehen auch methodologische Fragen des religionsgeschichtlichen Vergleichs mit im Fokus. Ein mittelfristiges Projekt ist die Abfassung einer konzisen Darstellung der Religionsgeschichte Israels von den Anfängen bis in persische Zeit (Hartenstein). Archäologische Quellen aus Palästina, altorientalische Textzeugnisse und alttestamentliche Literaturgeschichte werden für das Verständnis der Herausbildung des Monotheismus im Alten Israel zusammengeführt.

Theorien der Bildlichkeit, altorientalische Ikonografie und Altes Testament

Stierbild und Schreinmodell aus Lachisch (2. Jt. v. Chr., LB)

© F. Hartenstein

Einen wichtigen interdisziplinären Schwerpunkt des Lehrstuhls, in dem sich hermeneutische, exegetische und religionsphilosophische wie theologische Interessen bündeln, stellen Fragen von Bildern und Bildlichkeit im Licht des iconic turn der Kulturwissenschaften dar. In einer interdisziplinären Arbeitsgruppe wurde zum Verhältnis von „Bild und Zeit“ (DFG-Projekt 2011-2014) geforscht. Aus alttestamentlicher Perspektive tragen dazu vor allem Untersuchungen zur vorderen und hinteren Sinaiperikope des Exodusbuches bei (Ex 19-24 und 32-34).

Seit der Habilitationsschrift des Lehrstuhlinhabers bilden materiale und methodologische Fragen altorientalischer Ikonografie einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt. Weitere Studien sind erschienen (Neumann-Gorsolke 2012) oder in Arbeit (zum Motiv des „Heiligen Baumes“ bzw. Weltenbaums, Neumann-Gorsolke). Seit 2016 besteht mit Adelheid Otto (Lehrstuhlinhaberin Vorderasiatische Archäologie) eine ertragreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit in Lehre und Forschung (vgl. die Dissertation zur Ikonografie des Wettergottes, Dietz 2020).