Prof. em. Dr. Reinhard Johannes Schwarz (†)

Lehrstuhl Kirchengeschichte II

Büroadresse:

Geschwister-Scholl-Platz 1

80539 München

Nachruf auf Prof. em. Dr. Reinhard Johannes Schwarz (18.11.1929–18.07.2022)

Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München trauert um ihren am 18.07.2022 an seinem Wohnort in Dießen am Ammersee verstorbenen emeritierten Kollegen. Reinhard Schwarz kam 1971 an die zuvor neu gegründete Evangelisch-Theologische Fakultät in München und forschte und lehrte hier als Kirchenhistoriker zweieinhalb Jahrzehnte bis zu seiner Emeritierung im Oktober 1996. Sein Lehrstuhlprofil umfasste den Zeitraum von der Reformation bis zur Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg. Von 1979 bis 1981 leitete er als Dekan die Fakultät. Ehrenamtlich fungierte er als Präsident der Luthergesellschaft. Mit Reinhard Schwarz verliert die Fakultät einen weit über die deutschen Grenzen hinaus bekannten Kirchenhistoriker und einen der renommiertesten Lutherforscher sowie einen in der akademischen und kirchlichen Öffentlichkeit hochgeschätzten Gelehrten und Kollegen.

Reinhard Schwarz, 1929 in Liepe/Usedom geboren, gehört mit zu jener Generation von deutschen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, der die Ambivalenzen des Jahrhunderts mit der sich auflösenden Weimarer Demokratie und der im Zeichen der Weltwirtschaftskrise erstarkenden politischen Rechten schon in die Wiege gelegt wurden. Der im Jugendalter erfahrene politische Systemwechsel vom Nationalsozialismus zum Sozialismus der sowjetischen Besatzungsmacht, bei einer gleichzeitig nur wenige Kilometer entfernt entstehenden westlichen Demokratie schuf bei vielen eine Skepsis gegenüber jedweden politischen Heilslehren. Wissenschaftlich erwuchs daraus ein Vertrauen auf die verlässlichen Orientierungsmarken historischer Quellen, wie es Reinhard Schwarz nach dem Grundstudium an der Kirchlichen Hochschule in Berlin, seit 1950 als Student in Tübingen bei seinen Lehrern Hanns Rückert und Gerhard Ebeling in exemplarischer Weise vorfand. Unter deren Einflüssen entfaltete er in besonderer Weise eine quellengestützte historische Hermeneutik, die in seiner Dissertation Fides, spes und charitas beim jungen Luther (1962) ihren ersten signifikanten Ausdruck fand. An den drei thematischen Leitbegriffen entfaltete er eine Grundlegung der frühen lutherischen Theologie in kenntnisreicher Abgrenzung von der mittelalterlichen Scholastik. Diesen theologischen Zusammenhang von Spätmittelalter und Reformation vertiefte er auch in seiner Habilitationsschrift Vorgeschichte zur spätmittelalterlichen Bußtheologie (1968). Er schärfte 1953-1968 seine Quellenkenntnis in Tübingen als Mitglied der Kommission der Herausgabe der Werke Luthers. 1959f. absolvierte er sein Vikariat in der württembergischen Landeskirche. Seinen größten publizistischen Erfolg erreichte er mit seiner biographischen Studie Luther (1986 u. ö.), die sich durch ihren stringenten Quellenbezug und sachliche Darstellungsweise von den rhetorisch zugespitzten Präsentationen anderer Autoren signifikant unterschied. Die Arbeiten von Reinhard Schwarz waren zu keiner Zeit ideologieaffine Schnellschüsse, sondern bestachen durch ihre quellenbezogene Grundierung und durch ihre daraus hergeleitete innere Sachlogik der Argumentation.

Reinhard Schwarz erreichte schließlich, was nur wenigen seiner Zunft vergönnt ist. Sein Alterswerk Martin Luther. Lehrer der christlichen Religion geriet zum Opus magnum im besten Sinne (2015). Seine über Jahrzehnte gefertigten stupenden Vorarbeiten zu Luther aufnehmend, erkundete und entfaltete er auf der Basis einer seriösen Quellenarbeit eine gleichermaßen gehaltvolle wie umsichtige Darlegung zu Luthers lebensweltlichem Verständnis von der Religion. Das Werk fordert die Aufmerksamkeit seiner Leserinnen und Leser, bietet dann aber eine Fülle von Einsichten, es entsteht ein echtes Leseerlebnis mit einem Erkenntniswert weit über die Jetztzeit hinaus.

Die Faszination seines Berufes bezog Reinhard Schwarz auch aus dem Umgang mit Studierenden in der akademischen Lehre. Für seinen stets freundlichen Umgang mit den Studierenden und seinen Schülern sowie für seine zugewandte Weise der Seminargestaltung war er bekannt. In 50 Münchner Semestern hat er als akademischer Lehrer ganzen Generationen von bayerischen Pfarrerinnen und Pfarrern die Wertschätzung der Kirchengeschichte vermittelt und sie geprägt.

Im Münchner Kollegenkreis und in der nationalen und internationalen fachwissenschaftlichen Community war er bei aller Gelehrsamkeit stets wegen seines zuvorkommenden und bescheidenen Auftretens sehr geschätzt. Von seiner dezenten Präsenz ging eine integrative Kraft aus, die den Gremien und Gruppen, in denen er mitwirkte, zu Gute kam. Die Fakultät blickt dankbar und bereichert auf das Zusammenwirken mit ihm zurück. Das Kollegium der Fakultät, seine Schüler sowie die Fachkollegen und Fachkolleginnen verlieren mit Reinhard Schwarz einen herausragenden Lutherforscher, dessen kirchenhistorische Arbeit durch klare quellenanalytische Kraft zu überzeugen vermochte und darin andere ermutigte, gestützt auf historische Quellen ein eigenes Urteil zu wagen.

Harry Oelke