Wunscherfüllung durch Geisteskraft? – Megatrend Manifestieren
von Matthias Pöhlmann

von Matthias Pöhlmann
Ob Traumjob oder große Liebe – durch das Manifestieren (lat. manifestare: „handgreiflich machen“), also das Aussprechen oder Visualisieren von Wünschen, sollen diese Wirklichkeit werden. Die Anwender:innen erhoffen sich davon Glück, Erfolg und eine insgesamt höhere Lebensqualität. Seit vielen Jahren liegen solche Wunscherfüllungsprogramme im Zuge der Individualisierung voll im Trend. Die Methode des Manifestierens wird in immer neuer Verpackung in Ratgeberliteratur, Seminaren und auch über Social Media verbreitet. Ganz so neu ist dieser Trend jedoch nicht. Spätestens seit dem Boom der Motivations- und Erfolgstrainer sowie Life Coaches in den 1990er Jahren ist der Begriff des Positiven Denkens bekannt. Mithilfe bestimmter Denkmethoden sollen sich Glück, Erfolg und Reichtum wie von selbst einstellen. Die Vorzüge einer optimistischen Lebenseinstellung werden zu einer Ideologie geformt, nach der Wunschträume in allen Lebenslagen Realität werden sollen. Auf der Grundlage des Gesetzes der Anziehung soll Positives Denken Vorstellungen in Tatsachen verwandeln.
Hinter dieser Überzeugung steht die Idee, dass Gedanken Macht über die Dinge haben, und dass sich in der Praxis verwirklicht, was der Mensch sich zum Guten vorstellt. Vor Jahrzehnten trugen solche Wünsch-dir-was-Programme ganz unterschiedliche Namen in vielfältigen Varianten: Positives Denken, Die Macht Ihres Unterbewusstseins (Joseph Murphy), Sorge Dich nicht, lebe! (Dale Carnegie), Erfolgreich wünschen (Pierre Franckh) oder Bestellungen beim Universum (Bärbel Mohr). Zuletzt landete die australische Journalistin Rhonda Byrne mit ihrem Buch The Secret – Das Geheimnis einen Riesenerfolg. Es wurden 24 Millionen Exemplare verkauft. Unter Berufung auf ältere Vordenker wird behauptet, dass die Gedanken und Gefühle eines jeden Menschen reale Gegebenheiten anziehen bzw. erzeugen. Jenes „Gesetz der Anziehung“ habe demnach Auswirkungen auf alle Aspekte unseres Lebens, wie Gesundheit, zwischenmenschliche Beziehungen, Geld, Beruf usw.
Diese Vorstellungen gehen im Kern auf die im 19. Jahrhundert in den USA entstandene New-Thought-Bewegung zurück. Sie war die erste moderne religiöse Massenbewegung im Westen. Ursprünglich handelte es sich um eine von protestantischen Frauen des weißen Mittelstandes getragene religiöse Heilmethode aus den USA, nach der alle Krankheiten dem menschlichen Geist entstammen. Um 1900 zählte sie in den USA bereits über eine Million Anhänger:innen. Der Mensch könne, so die Vorstellung, alle krankmachenden Gedanken als falsch durchschauen, nach dem Mind-over-Matter-Prinzip die Materie beherrschen und sich mit dem göttlichen Geist verbinden. Die Theologie des New Thought ist christlich orientiert und stark vom Spiritualismus des schwedischen Visionärs Emanuel Swedenborg (1688–1772) geprägt. Eine spätere Weiterentwicklung ist das sogenannte Wohlstandsevangelium im neucharismatisch-pfingstlichen Kontext, das eine große Nähe zum Positiven Denken aufweist, wie es etwa in den Predigten des reformierten New Yorker Pastors Norman Vincent Peale (1898–1993) zu beobachten ist. Dieser wiederum scheint einen heutigen Prominenten nachhaltig beeinflusst zu haben: So sieht sich der amtierende US-Präsident Donald Trump als von Peale religiös geprägt.