Die Verwaltung der Hölle als Videospiel

von Martin Loch

In langen Schlangen stehen die Seelen der Verstorbenen und warten in der Hölle auf ihre Bestrafung. In sich tragen sie die Schuld und Sünden eines Lebens. Lust, Neid, Gier, Zorn, jede der sieben Todsünden haben sie in ihrem Leben begangen, wenn auch nicht jede in gleichem Maße. Bedrohlich erheben sich vor ihnen die höllischen Einrichtungen, in denen ihre Sünden bestraft werden. So müssen sie warten, warten, warten … denn die Wärterin an der Schranke hat gerade Mittagspause. Und schließlich kann man ja nicht alle Seelen gleichzeitig durchlassen! Wie soll man dann bitte die Papiere kontrollieren? Was wird denn da der Chef sagen? Nein nein, auch in der Hölle muss das alles seine bürokratische Richtigkeit haben!

Nachdem die Seele von einem müden, unmotivierten Höllenkobold in Gehaltsklasse A3 abgefertigt und als ausreichend gereinigt beurteilt wurde, darf sie sich zur Wiedergeburt in den „Großen Vortex“ begeben, der sie wieder an die Oberfläche katapultiert. Falls sie aber durchfällt, so darf sich die Seele wieder hinten anstellen und den ganzen Prozess erneut durchlaufen…

Screenshot aus dem Spiel "Sintopia"

Für wen dies nun nach einer Beamteninterpretation von Dantes Inferno klingt (oder nach der ganz normalen deutschen Bürokratiehölle), dem sei gesagt: gar nicht mal so falsch.

Tatsächlich entstammt diese kreative Interpretation der Hölle dem Videospiel Sintopia von Piraknights Games. Als Chef der Hölle bin ich für die effiziente Bestrafung der Seelen verantwortlich, aber nicht als Teufel, sondern eher als ein Abteilungsleiter eines Büros in den 80ern. Zum einen muss ich die Launen der Mitarbeitenden, das Budget und die geordnete Bestrafung der Seelen koordinieren. Dies geschieht durch höllische Therapeuten-Kobolde, die auf je eine der sieben Todsünden spezialisiert sind und jeder Seele eine karikaturhafte Bestrafung zukommen lassen. Wer für Gier Bestraft wird muss zum Beispiel strömen von Goldmünzen beim verschwinden in einem endlosen Loch zusehen. Zum anderen werde ich mit Forderungen vom Chef (aka Gott bzw. seiner Assistentin Lilith) konfrontiert und muss die Lage in der Oberwelt im Auge behalten, falls doch eine sündige Seele durch das Raster gerutscht ist und nun Unruhe stiftet.

Dabei bedient sich das Spiel einer spannenden Frage: Was, wenn man selbst Gott wäre und mit jenseitiger Macht über die Welt ausgestattet ist?

Was nach einer Fantasie der modernen, entzauberten Welt klingt, ist eigentlich ein sehr altes Konzept: Seien es die ägyptischen Pharaonen, die als Menschen die Rolle einer Gottheit übernehmen, seien es die römischen Imperatoren, die nach ihrem Tod eine Apotheose erfahren, oder auch Schauspielende, Priester*innen oder Schaman*innen, die in Ritualen, Mysterienspielen oder Theaterstücken Gott bzw. göttliche Wesen spielen.

Die Motive hinter dieser Transformation sind so verschieden wie die Religionen und Kulturen unserer Welt, doch sicher spielt die Faszination hinter göttlicher Macht eine wichtige Rolle, ebenso wie eine damit einhergehende Kontingenzbewältigung. Das Göttliche wird zu etwas Erlebbarem, etwas Ausführbarem und etwas Spielbarem, und die Frage, ob nicht auch ein Mensch göttliche Rollen übernehmen kann, wird verhandelt.

Während ich im Spiel Seelenstraßen verlege, die zu den verschiedenen Bestrafungsorten führen, denke ich an den Film Bruce Allmächtig von 2003, in welchem Jim Carrey als Bruce Nolan von Gott mit dessen Kräften ausgestattet wird. Was als Spaß beginnt, wird schnell zur übermenschlichen Verantwortung. Auch im Spiel können meine Entscheidungen schwere Konsequenzen haben. Lasse ich zu viele Sünder*innen durch, tauchen bald Dämonen auf, die den Tempel, das Zentrum der göttlichen Macht im Spiel, zerstören. Dann ist das Spiel verloren, und ich muss von vorne beginnen. Behalte ich die Seelen zu lange in der Hölle, verderben die Seelen und werden ebenfalls zu Dämonen…tja.

Es gibt einige Spiele dieser Art, sogenannte Göttersimulationen. Die Idee ist dabei immer ähnlich: Als Gott bzw. Wesen mit göttlichen Kräften beeinflusst man einen kleinen Stamm, damit dieser stark wird. Ob als göttliche, Wunder bewirkende schwebende Hand in Black and White (Lionhead Studios), als Weltenformer und Herrscher der Elemente in Reus (Abbey Games), oder eben als Verwaltungschef der Hölle, der durch seine Arbeit die kleine Zivilisation an der Oberwelt am Leben hält.

Martin Loch