Süße Sünde? Kirchenkritik an der Eistheke
von Anna Hepting

von Anna Hepting
Ein bekanntes Eiscafé in der Münchener Amalienstraße verzaubert seine Gäste mit bunter Einrichtung, märchenhaftem Flair und außergewöhnlichen Eissorten. Mit feinster italienischer Eismacherkunst beglückt Matthias Münz, der Verrückte Eismacher, seine Kundschaft mit innovativen kulinarischen Eiskreationen. Es gehört zu seinem Markenzeichen, dass sich sein Sortiment ständig ändert und amüsante Titel trägt, die auch politische Statements beinhalten, wie etwa „Scholzberry-Vanilla“ oder „Merzhase – Das schwarze Null-Eis“ zur Bundestagswahl im Februar 2025.
Momentan steht die Eistheke unter einem besonderen Motto: Mit Eissorten wie „Messdiener-Schnitte“, „Ministranten-Mojito“, „Sünder-Schoko-Sorbet“, „Kruzifix-Kümmel-Weißwurst“, „Luther-Latte mit 95 Ablass-Amarettini“, „Kreuzzug-Krokant“ oder „Blut-Christi“ wird eine eisige Verbindung zu christlichen Traditionen hergestellt. Ein Seitenhieb auf die Fastenzeit, die zwischen Fasching und Ostern liegt, könnte hierbei vermutet werden – ein stiller Protest mit einem Genussmittel, auf das fastende Menschen in dieser Zeit bewusst verzichten. Auf Nachfrage erläutert Münz jedoch, dass er mit seinen neuesten Kreationen auf das Heilige Jahr 2025 Bezug nehmen möchte, das momentan in Rom gefeiert wird und zahlreiche Pilgernde anzieht. Mit den satirischen Titeln spricht er eine eindeutige Sprache und macht auf Skandale sowie Kritikpunkte aufmerksam, die in Verbindung mit den christlichen Kirchen stehen.
Die Reaktionen auf die Kirchenkritik an der Eistheke sind gemischt. Einerseits wird Münz unter seinen Instagram-Posts für seinen bissigen Ton gelobt, der anspreche, was viele Leute denken würden. Andererseits hagelt es heftige Kritik an den Warenbezeichnungen, die Gläubigen gegenüber beleidigend seien. Vor allem die „Holy Cream“, eine kleine Portion flüssige Sahne in einem Behältnis für Samenspenden, geht einigen Kommentierenden zu weit.
Während dem Verrückten Eismacher mit der Bezeichnung seiner Kreationen eine schamlose Werbestrategie vorgeworfen wird, ist die provokative Verwendung religiös aufgeladener Begriffe und Symbole für Marketingzwecke längst keine Neuheit mehr. Sie werden mithilfe verschiedener Medien verbreitet und sind mal mehr, mal weniger eindeutig erkennbar. Ebenso suggeriert die Bezeichnung von Eis, Kuchen oder Süßigkeiten als „süße Sünden des Alltags“ eine Verbindung zwischen Genuss und Religion. Die Message lautet: Halte dich von der (süßen) Sünde fern, aber ganz darauf verzichten musst du auch nicht.
Die eisige Angelegenheit löst eine hitzige Diskussion aus und ist insofern spannend, als sie auf verschiedenen Ebenen stattfindet. Die Provokation wird an der Eistheke hervorgerufen und in den sozialen Medien befeuert, sie verlässt also den materiellen Raum und geht ins Digitale. Die religiösen Verweise, die sich in den Titeln der Eissorten befinden, sind gleichzeitig Aneignung und Ablehnung von Religion, um harte Kritik an der Kirche auszudrücken. Damit werden Tabuthemen der Gesellschaft, wie Anspielungen auf Reproduktionsdebatten, Pornografie und Missbrauch, angesprochen und erregen Aufmerksamkeit. Im Umfeld einer bunten und fröhlichen Zauberwelt stößt der Eismacher relevante gesellschaftliche Debatten an und fordert uns auf, Stellung zu beziehen.