Die Geschichte der Fakultät

Am Anfang war ein Zahnarzt. Die Gründung der Evangelisch-theologischen Fakultät der LMU im Jahr 1967 ist im Wesentlichen dem Beharrungsvermögen des Münchener Zahnmediziners und engagierten Protestanten Dr. Kurt Lentrodt (1898–1979) zu verdanken.

Zwar gab es bereits bald nach dem Zweiten Weltkrieg Stimmen, die sich mit Hinweis auf die wachsenden protestantischen Bevölkerungsanteile für die Gründung einer evangelischen Fakultät in München aussprachen. Zurückhaltend aber war man einstweilen in der Landeskirche, die 1947 in Neuendettelsau mit der Augustana ihre eigene theologische Hochschule gegründet hatte. Mäßig war die Begeisterung in der 1743 gegründeten Erlanger Fakultät, die keinen Bedarf nach Konkurrenz zu ihrer lutherischen Ausprägung sah. Und reserviert war zunächst auch die traditionsreiche Katholisch-theologische Fakultät der Münchener Universität, die zu früheren Zeiten der Universitätsgeschichte eine wesentliche Rolle in der Gegenreformation gespielt hatte.

Kurt Lentrodt aber, seit 1933 Kirchenvorstandsmitglied in verschiedenen Münchener Gemeinden, Mitglied der Bekennenden Kirche, persönlicher Freund von Karl Barth, seit 1949 gewähltes Mitglied der Bayerischen Landessynode und ab 1955 Honorarprofessor an der medizinischen Fakultät der LMU, warb annähernd zwei Jahrzehnte lang beharrlich für seinen Plan. 1963 wendete sich die Stimmung in der Landeskirche. Im Jahr 1964 votierte die katholisch-theologische Fakultät der LMU für die Gründung einer evangelischen Schwesterfakultät, billigte die Synode der bayerischen Landeskirche einen Antrag Lentrodts auf Befürwortung der Neugründung und reichte der Senat der LMU einen Antrag auf Einrichtung der Fakultät an das Kultusministerium. 1966 bewilligte der bayerische Landtag die finanzielle Ausstattung der Fakultät und es stellte der bayerische Kultusminister Ludwig Huber einen Ausschuss für die Berufung der ersten fünf Lehrstuhlinhaber zusammen. Am 20. Juni 1967 besiegelten Kultusminister Huber und der bayerische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger vertraglich, dass die staatskirchenrechtlichen Regelungen auf die neue Fakultät Anwendung finden sollten. Mit dem 1. Oktober 1967 galt die Fakultät als gegründet. Im Sommersemester 1968 wurde der Lehrbetrieb aufgenommen.

Ein eigenes programmatisches Profil der Fakultät bildete sich erst allmählich heraus. Zwar bezeichnete Lentrodt es im Rückblick als Aufgabe der neuen Fakultät, dass die Theologie „aus dem Ghetto in das offene Feld der Wissenschaften [rückt], zu einem Zeitpunkt, wo ernsthaft gefragt wird nach dem Verhältnis von biblischem Bericht und historischer Wirklichkeit.“ Ihr Profil als eine kulturzugewandte und gesellschaftsoffene Stätte theologischer Lehre und Forschung erlangte die Fakultät aber erst in den frühen 1970er Jahren durch die Konstellationen ihrer Gründungsprofessoren. Über die Grenzen der theologischen Disziplinen hinweg war man sich im Wesentlichen einig darin, dass man die Theologie als eine dem historisch-komparativen Paradigma verpflichtete Wissenschaft betreiben wollte, die das christlich-religiöse Leben in all seinen Facetten, in Geschichte und Gegenwart, in seinen kirchlichen Formen ebenso wie in seinen gesellschaftlichen und kulturellen Sedimenten als Gegenstand hatte. Das bedeutete zugleich eine Skepsis gegenüber allen Tendenzen, in Lehre und Forschung mit religiösen Überzeugungen die Suche nach argumentativen Erwägungen und Begründungen abkürzen oder stillstellen zu wollen. Auch wenn diese gemeinsame Grundüberzeugung schon damals individuell unterschiedlich ausgeprägt war und im Laufe der Jahrzehnte sowie in der Differenzierung der Disziplinen höchst verschieden interpretiert wurde, kann sie doch als Signatur der pluralen und pluralitätsoffenen Theologie an der Münchener Evangelisch-theologischen Fakultät bezeichnet werden.

© Caroline Veit

Diese Signatur ist erkennbar nicht nur in den Interessen und Schwerpunkten der einzelnen Fakultätsmitglieder, sondern auch in zahlreichen disziplinen- oder fakultätsübergreifenden Themenschwerpunkten, Forschungsverbünden und Arbeitsstellen, die an der Fakultät angesiedelt waren und sind. Diese wirken in die Ausbildung der zahlreichen Pfarrer und Pfarrerinnen, Lehrer und Lehrerinnen hinein, die an der Fakultät studierten und studieren – wenngleich man sagen muss, dass die Münchener Fakultät hinsichtlich ihrer Studierendenzahlen eher zu den kleineren theologischen Fakultäten in Deutschland zählte und zählt. Die Forschungsstärke hat dagegen nicht nur eine starke fachliterarische Präsenz mit sich gebracht, sondern auch dazu geführt, dass die Zahl der akademischen Qualifikationen und die Zahl der Münchner Absolventen und Absolventinnen, die in universitären Berufen stehen, eher überdurchschnittlich ist.

Die Münchener Fakultät ist eine der jüngsten evangelisch-theologischen Fakultäten in Deutschland. Ihre Aufgaben unterscheiden sich aber nicht von denjenigen der älteren und traditionsreicheren Fakultäten, nämlich: Die Theologie als Funktion der Kirche zu begreifen, in den Dienst der Ausbildung von Pfarrern und Pfarrerinnen, Lehrerinnen und Lehrern zu stellen, mit wissenschaftlichen Methoden zu betreiben und ihre Fragestellungen an den Erfordernissen der Gegenwart auszurichten. In besonderer Weise als Erbe und Auftrag versteht die Münchner Fakultät es dabei aber, die mit der Aufgabe der Theologie verbundenen und in permanenter Wandlung begriffenen Herausforderungen vorurteilslos und selbstkritisch begreifen zu wollen – auch wenn es manchmal weh tut.

(Prof. Dr. Christian Albrecht)