Aufklärerische Ökumene in Bayern

von Christopher Spehr

Er ist etwas versteckt, der erste evangelische Pfarrer Münchens. Anders als der erste evangelische Bürger Münchens, der reformierte Pfälzer Weinhändler und Pferdewirt Johann Baptist Michel (1755–1818) aus Mannheim, ist der seinerzeit bedeutende Prediger und Kirchenmann Ludwig Friedrich von Schmidt (1764–1857) aus dem öffentlichen Bewusstsein Münchens fast vollständig verschwunden. Allerdings nicht ganz!

Am Monument für König Maximilian I. Joseph in der Mitte des kürzlich neu gestalteten Max-Joseph-Platzes vor der Residenz und dem Nationaltheater schaut er den Betrachter an – gekleidet in Talar mit Beffchen, den Arm auf die Bibel gelegt. Freundlich, friedfertig, als ökumenischer Brückenbauer.

Max-Joseph-Denkmal München; Abb.: Fotografie: Denkmal König Max I. Joseph, enthüllt 1835, von Christian Daniel Rauch nach einem Entwurf von Leo von Klenze, gegossen von Johann Baptist Stiglmaier (AHert, CC BY-SA 3.0 via WM-Commons).

Zwischen 1826 und 1835 errichtete der Bildhauer Christian Daniel Rauch (1777–1857) diese von den Münchener Bürgern veranlasste Plastik, die heute zu den bedeutendsten Werken der klassizistischen Bildhauerei zählt. Unter dem sitzenden und seine Hand zum Segen hebenden König Maximilian I. Joseph von Bayern zeugen die Reliefs von den unterschiedlichen Bereichen des geförderten Gemeinwohls. Auf der Vorderseite werden beispielsweise die Wissenschaften dargestellt und auf der Nordseite Religion und Kunst. Links wird der Münchener Weihbischof Franz Ignaz von Streber (1758–1841) für die Katholiken und rechts Ludwig Friedrich von Schmidt für die Protestanten abgebildet. Verbunden sind sie durch einen Engel, der an das Religionsedikt von 1809 erinnern soll.

Mit diesem Gesetz vom März 1809 wurde die konfessionelle Parität zwischen Katholiken, Lutheranern und Reformierten bestätigt und allen Einwohnern des Königreichs Bayern grundsätzlich Gewissensfreiheit und Toleranz gewährt. Damit kam ein längerer Prozess zum Abschluss, der von aufklärerischer Geisteshaltung und ökumenischer Friedfertigkeit geprägt war. Vertreter dieser Geistesrichtung waren die abgebildeten Theologen: der katholische Aufklärer von Streber und der evangelische Neologe Schmidt. Dieser war als Kabinettsprediger der badischen Prinzessin Caroline, lutherische Ehefrau von Maximilian Joseph, 1799 mit dem Hof nach München gewechselt, wo Schmidt begann, die ersten evangelischen Gottesdienste mitten in der römisch-katholischen Diaspora zu feiern.

Innerhalb kurzer Zeit wuchs durch Zuzug, besonders aus den Gebieten, die infolge der napoleonischen Kriege dem Königreich Bayern zugeschlagen worden waren, die evangelische Gemeinde. Anders als eine knappe Generation später setzte Schmidt nicht auf konfessionelle Abgrenzung und Polemik, sondern auf Integration und Irenik. So besuchten beispielsweise immer auch Katholiken seine Gottesdienste – teils aus Neugier, teils um sich an seiner Predigt zu erbauen. Die Wertschätzung, die Schmidt als engagierter Kirchenmann, besonnener Diplomat und einfühlsamer Beichtvater der Königin Caroline in Kirche und Staat erfuhr, kommt in zahlreichen zeitgenössischen Gelehrtenbildern und in jener Darstellung auf dem Max-Joseph-Platz zum Ausdruck.

Gleichzeitig symbolisiert sie Religion im öffentlichen Raum und zeugt von einem Miteinander der christlichen Konfessionen in Bayern, das kurze Zeit später von Rekatholisierungstendenzen, Missgunst und Streitigkeiten abgelöst wurde. Erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sollte das ökumenische Miteinander wieder zu neuem Leben erweckt werden. Schmidt war nicht nur ein Pionier des evangelischen Glaubens in München und Oberbayern, sondern auch ein ökumenisch denkender Theologe des früheren 19. Jahrhunderts, den es zu entdecken lohnt!

Christopher Spehr