Jederzeit geliebt! Per QR-Code Jesus nahekommen
von Luise Merkert

von Luise Merkert
Es ist Samstagvormittag und auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt laufen Menschen durcheinander. Ob Singles, die ein paar Kleinigkeiten kaufen oder Familien, die den Wocheneinkauf erledigen. Alle sind gestresst. Väter schieben ihre Kinder im Einkaufswagen vor sich her, Mütter versuchen die letzte Parklücke zu finden, an der Rückgabe für die Einkaufswägen staut es sich. Beim geduldigen Warten fällt mir ein Sticker am Pfosten neben mir auf. Auf ihm steht: „Alle 11 Minuten? Jederzeit geliebt! Gospelship ♥ Jetzt!“
Ich folge dem QR-Code und gelange auf ein Instagram-Profil mit dem Namen gamechangerjesus. Darauf befinden sich Posts in bunter Schrift, auf denen es heißt: „Jesus liebt dich“ oder „Gott hat dich wunderbar gemacht“. Außerdem postet das Profil ermutigende Bibelzitate und einfache Schritte, die zeigen, wie und warum man über Jesus zu Gott in seinem Leben finden sollte.
Obwohl das Stickern als Sachbeschädigung gilt und teilweise mit hohen Geldbußen bestraft wird, nehmen die bunten Aufkleber mittlerweile aktiv an gesellschaftlichen Aushandlungen teil. Politische Parolen zieren Laternenpfosten, an Rolltreppen zeichnet sich ein erbitterter Kampf gegnerischer Fußballvereine ab und bunte Aufkleber in Kneipentoiletten fordern soziale Gerechtigkeit und kulturelle Vielfalt. Sticker vermitteln eine Botschaft, ihre Aussagen sind meist kurz und aussagekräftig.
Viele dieser Sticker, wie auch der am Supermarkt, referieren gezielt auf die Populärkultur. „Alle 11 Minuten?“ bezieht sich auf die Werbung eines Singleportals, die mit dem Slogan „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über Parship“ auf den Erfolg ihrer Online-Dating-Website aufmerksam gemacht hat.
Viele werden sich an das Versprechen der beliebten Singlebörse erinnern, das mit Fotos überdurchschnittlich attraktiver Singles auf Plakaten beworben wurde. Der Sticker knüpft daran an, zeigt jedoch auf: Die Liebe zwischen Menschen ist vergänglich und an Bedingungen geknüpft. Gottes Liebe hingegen ist bedingungslos, jederzeit verfügbar und sogar über einen QR-Code erreichbar: Gospelship statt Parship.
Mithilfe eines bunten Stickers an einem öffentlichen Ort wie dem Supermarkt werden religiöse Überzeugungen kommuniziert. Der QR-Code, der mittlerweile ein essenzielles Medium zur Informationsbereitstellung geworden ist, leitet die Person, die ihn scannt, direkt weiter in die sozialen Medien. Dort wird nicht nur mehr Wissen in Bezug auf Jesus bereitgestellt, sondern auch die direkte Möglichkeit zur Vernetzung mit Gleichgesinnten geboten.
Die populärkulturelle Referenz sowie das Medium des Stickers bieten einen niederschwelligen Zugang zu einer konkreten Botschaft, die vermittelt werden soll. Gleichzeitig wird die Verbreitung religiöser Inhalte an den Alltag der Menschen angepasst: Nicht die Bibel und die Kirche, sondern Sticker, QR-Codes und Instagram werden als Weg präsentiert, um zu Jesus und Gott zu finden. Und das ganz nebenbei, beim stressigen Wocheneinkauf.